Diskussion über Isabel Hulls Verwendung des Traumabegriffs in Bezug auf den Franktireurkrieg 1870/71
Nicolas Stojek
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
09. Oktober 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.09.10.2023

1. Einleitung

Der Belgier Houtin ist nach dem Einmarsch der Deutschen in Belgien 1914 wild entschlossen, die Invasoren zu bekämpfen. Seine deutsche Frau, die ihn von seinem Widerstand abhalten will, beschimpft er als Verräterin und bereut es, eine Deutsche geheiratet zu haben. Zum Äußersten bereit schießt er aus dem Fenster seines Hauses auf deutsche Soldaten. Diese schaffen es jedoch, Houtin zu überwältigen und nehmen ihn gefangen. Auf der Straße vor Houtins Haus soll dieser erschossen werden, seine Frau fleht um Gnade. Houtin, nach wie vor rasend, greift sich blitzschnell ein herumliegendes Gewehr und erschießt seine Gattin. Die deutschen Soldaten reagieren ebenso schnell und erschießen den aufsässigen Belgier, den Franktireur Houtin.1

Die Intensität des Theaterstücks „Der Franktireur“ spiegelt sich auch hundert Jahre später in der akademischen Debatte um den Franktireurkrieg 1914 und in diesem Zusammenhang auch in der Debatte um die These eines deutschen militärischen Sonderwegs wider. Diese besagt, dass sich eine spezifisch deutsche Militärkultur entwickelt hätte, welche ihren Ausgangspunkt im Reichseinigungskrieg von 1870/71 hatte und in einer Kontinuität bis zur totalen Gewalt im Zweiten Weltkrieg geführt habe.2 Die britischen Historiker John Horne und Alan Kramer veröffentlichten 2004 ihre Studie German Atrocities 1914. A History of Denial, welche von deutscher Seite regen Widerspruch provozierte.3 Besonders Gunther Spraul warf Horne und Kramer, bisweilen polemisch, unsaubere Arbeit und falsche Darstellungen vor. Horne und Kramer reagierten mit Unverständnis auf die Kritik und geben den Vorwurf der Polemik und des unsauberen wissenschaftlichen Arbeitens zurück.4

Es ist diese heftig debattierte Studie Hornes und Kramers, die eine zentrale Stellung für die Argumentation der amerikanischen Historikerin Isabel Hull in ihrem Buch Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany einnimmt. Für Hull spielt der Umgang des deutschen Militärs mit den Franktireurs eine entscheidende Rolle für die Ausbildung der deutschen Militärkultur in Bezug auf den Umgang mit Partisanen, ja Zivilisten generell, und hat diesen nachhaltig und tiefgehend geprägt. Historischer Ausgangspunkt von Hull ist der Franktireurkrieg im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der den Präzedenzfall für einen überharten Umgang der Deutschen mit Zivilisten darstellte. Die von diesem Krieg ausgehende Kontinuität führte zu einer Pfadabhängigkeit, welche die Gräueltaten des Franktireurkrieges 1914 wie auch der Partisanenbekämpfung im Zweiten Weltkrieg zur Folge hatte, so Hull.

In jüngerer Vergangenheit ist die Sonderwegs-These auch in Bezug auf ihren angeblichen Ausgangspunkt im Deutsch-Französischen Krieg kritisiert worden.5 Zur Verwirrung der Debatte trägt bei, dass sowohl Horne und Kramer als auch Hull sagen, ihre Werke seien gar nicht als Beitrag zur Sonderwegs-Debatte zu verstehen.6 Doch gerade Hull postuliert, dass das „Trauma“ des Franktireurkrieges 1870/71 prägend für die deutsche, in ihren Augen extremistische Militärkultur war. Die Behauptung eines Traumas, welches sich auf einen nationalen Militärapparat beschränkt, sowie die Behauptung einer extremistischen, also von der statistischen Norm stark abweichenden Militärkultur insinuiert jedoch wenigstens einen Sonderweg.

Die vorliegende Arbeit will auf Basis der verfügbaren Literatur einschätzen, inwieweit die These des Traumas, welches diese speziell deutsche Militärkultur geprägt haben soll, in Bezug auf den letzten Reichseinigungskrieg als zutreffend qualifiziert werden kann. Dazu wird zunächst eine Besprechung von Hulls Absolute Destruction-Studie vorgenommen und anschließend das Für und Wider ihrer These im Lichte des aktuellen Forschungsstandes erörtert. Im Besonderen soll quantitativen Argumentationen – soweit verfügbar – ein höherer Stellenwert eingeräumt werden, als dies noch bei der qualitativen Analyse Hulls der Fall ist. Die hohe Gewichtung der wenigen quantitativen Studien ergibt sich aus der Notwendigkeit, das Trauma als theoretischen Lückenfüller oder als legitim argumentierbare Heuristik zu identifizieren. Lässt sich ein Trauma durch den Franktireurkrieg behaupten? Oder ist die Quellenlage zu vage, um so weitreichende Behauptungen zu treffen?

Kontext der Arbeit

Am 01. September 1870 übermittelte der französische Kaiser Napoleon III. dem preußischen König Wilhelm I. das Kapitulationsschreiben Frankreichs.7 Nur anderthalb Monate nach der preußischen Mobilmachung gerieten etwa 104.000 französische Soldaten in Kriegsgefangenschaft, knapp 139.000 fielen, ein Großteil davon in der Schlacht bei Sedan.8 Bei einer Gesamttruppenstärke von 336.000 Soldaten plus etwa 400.000 Mann in der Gendarmerie, Kolonialtruppen, darunter auch etwa 150.000 bis 180.000 überwiegend unausgebildeten Mobilgarden, waren dies empfindliche Verluste.9 Es sollte sich jedoch unmittelbar nach Napoleons Kapitulation herausstellen, dass diese Verluste nicht empfindlich genug waren, den Widerstandsgeist der Franzosen zu brechen. Der geschlagene Kaiser Napoleon III. sah sich ob seiner Situation als Kriegsgefangener nicht in der Lage, Friedensverhandlungen im Namen der Nation zu führen, und in Paris setzte sich innerhalb weniger Tage eine republikanische Regierung durch, welche in Nachfolge des Kaisers die Geschicke der Nation leiten sollte.10 Auch Bismarcks unnachgiebige Forderung nach Gebietsabtretungen, welche für die französische Seite schlicht inakzeptabel waren, trugen nicht zu einem Friedensschluss bei.11 So rief die neue Regierung die levée en masse aus und forderte von der französischen Bevölkerung une guerre á outrance. Auf Basis der Regeln konventioneller Strategie war Frankreich Anfang September bereits besiegt. Durch den großen Rückhalt, den die neue Regierung in ganz Frankreich hatte, konnte aber der Widerstand gegen die Deutschen schnell organisiert werden, der Krieg wandelte sich vom Kabinetts- zum Volkskrieg, in dem die Franktireurs eine signifikante Rolle spielen sollten.12

2. Isabel Hulls Trauma-These

Hull versucht in Absolute Destruction die militärkulturelle Genese des Deutschen Kaiserreiches nachzuvollziehen. Dafür stützt sie sich auf die Kulturtheorien von Clyde Kluckhohn und Edgar Schein. Kluckhohn definiert Kulturen, kurz gesagt, als Cluster von Techniken, Artefakten und Ideen, welche – und das ist das Wichtigste an der Definition – implizit und unbewusst existent sein können. Diese unbewussten kulturellen Merkmale können dominante Prämissen für selbstorganisatorische Ordnungsprozesse innerhalb des kulturellen Raums sein.13 Jeder vollzieht also ein teleonomisches Verhalten und weiß nicht, warum, bietet durch diese relative Homogenität jedoch einen Rahmen, in dem Kooperation stattfinden kann. Den Grund, warum eine Variante dominanter in der Verhaltenssteuerung der Kultur ist, sieht Hulls Referenz Edgar Schein im Trauma. Trauma bedeutet eine physische Wunde. Das Konzept wurde jedoch auf den Bereich der Psyche übertragen. In diesem neuen Referenzrahmen konnten sodann auch transgenerationale Traumavererbungen argumentiert und experimentell festgestellt werden. Im Gegensatz zum physischen ist das psychische Trauma also vererbbar.14 Das einer Organisation, also möglicherweise auch einer Armee beigebrachte Trauma wirkt im Mechanismus der (unbewussten) kognitiven Priorisierung von kulturellen Merkmalen als Verstärker der traumabezogenen Merkmale.15 Im Lamarck‘schen Sinne kann dieser Prozess als „funktionelle Anpassung [Herv. im Orig.; NS]“16 verstanden werden.

Im Kampf gegen die Franktireur 1870/71 sei dem Deutschen Militär nun das Trauma beigefügt worden, welches die zuvorderst rechtliche und politische Pfadabhängigkeit einrichtete, welche als „Deutscher Militärischer Sonderweg“ deklariert wurde.17 Besonders waren dabei folgende Aspekte: General Helmuth von Moltke erwarb sich bereits im Reichseinigungskrieg gegen Österreich den Ruf eines hervorragenden Planers und Organisatoren. Diese Reputation bestätigte sich im Deutsch-Französischen Krieg. Die darauffolgende Strukturierung des Militärs unter seiner Ägide war fortan geprägt durch Bürokratisierung und hohe Spezialisierung, welche im Weiteren ein engstirniges, rein militärisches Kognitionsfeld im Militärapparat förderte und ausprägte.18 Eine Erfahrung des finalen Reichseinigungskrieges war der Krieg gegen die Franktireur, bei deren Bekämpfung die Grenze zwischen Kombattant und Nicht-Kombattant verschwamm. Die gemachten Erfahrungen wurden später zu Ausbildungsinhalten deutscher Soldaten verarbeitet. Damit wurde die rigorose Form der Bekämpfung von Partisanen, also bewaffneter Zivilisten, Teil des Fähigkeitskanons der deutschen Streitkräfte.19 Zur Selbstabkopplung des Militärs kam nach dem Krieg auch die zunehmende Eigenständigkeit des Militärs von zivilen politischen Institutionen hinzu. Wesentlich ist hierbei die eingeschränkte Kontrolle des Reichstages über militärische Angelegenheiten zu nennen.20 Vor allem war das Militär nicht nur von signifikanter politischer Kontrolle abgeschnitten, auch die zivile Sphäre militarisierte sich zunehmend.21 Auf diesem Grund gedieh eine Auslegung des internationalen Rechts, welche der „militärischen Notwendigkeit“ eine hohe Priorität einräumte und somit eine, aus Sicht von Hull, extremistische Bekämpfung von renitenten Zivilisten des okkupierten Gebiets rechtlich legitimierte.22 Hulls Extremismus-Definition lautet: „Extremism occurs when the means overwhelms the end“.23

Die sonderbare Pfadabhängigkeit, auf die sich das Deutsche Reich nach den Erfahrungen des Deutsch-Französischen Kriegs begab, liegt, laut Hull, also in folgenden Punkten begründet: 1. Ausprägung des Primat des Militärischen, 2. Militarisierung von Politik und Gesellschaft, 3. Kanonisierung radikaler Zivilistenbekämpfung in der militärischen Ausbildung und 4. der Auslegung internationalen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der militärischen Notwendigkeiten, auch auf Kosten humanitärer Belange.

3. Was ist ein Trauma?

Grundsätzlich ist es möglich, dass ein erlebtes Trauma über Generationen hinweg vererbt werden kann, sowohl biologisch als auch kulturell.24 Wenn Historiker von einem Trauma sprechen, ist davon auszugehen, dass sie von kultureller Vererbung sprechen. Dies ist bei Hull, Horne und Kramer der Fall. Hull zitiert Organisationspsychologen und Soziologen, um ihre These zu belegen, Horne und Kramer beziehen sich auf die Konzeption der „Great Fear“ von Georges Lefèbvre, nach der zirkulierende Schreckenserzählungen autosuggestiven Charakter annehmen und somit weiteres Verhalten von Kollektiven initiieren können.25 Die Falle, in die sie damit treten können, ist die der hyperbolischen Verwendung des Traumakonzepts. Traumata sind zunächst biologische Phänomene, die anschließend in kulturelles Verhalten übersetzt werden.26 Dies bedeutet, dass für ein kollektives Trauma, welches Stabilität im transgenerationalen Gedächtnis erhalten will, ein ausreichendes Schockmoment vorliegen muss. Der Trade-Off findet statt zwischen der Schwere des Schocks und der Anzahl der Personen einer Ingroup, die diesen Schock gemeinsam erleben und in kulturelle Artefakte übersetzen.27

Weder Absolute Destruction noch German Atrocities nehmen eine quantitative Untersuchung des postulierten deutschen Traumas 1870/71 vor. Rückblickend lässt sich selbstverständlich nicht klären, welche biologische Wirkung der Franktireurkrieg auf die deutschen Soldaten hatte. Nur historische Daten können uns eine Beurteilung ermöglichen, wie gravierend die Franktireur-Aktivität gewesen sein könnte. Ohne diese laufen beide Studien Gefahr, die Autosuggestion bzw. das Trauma als Lückenfüller für mangelhafte historische Evidenz einzusetzen. Die Hürde für ein Franktireur-Trauma dürfte recht hoch sein, immerhin war der Guerillakrieg ein Subphänomen des eigentlichen, des Einigungskrieges. Wie Hull selbst anspricht, „militaries are in the trauma business“,28 weswegen ein besonderer Schrecken von den Freischärlern hätte ausgehen müssen, um entscheidender Faktor für eine aus diesem abgeleitete Veränderung der Militärkultur zu sein. Die Frage stellt sich also, inwieweit die Erfahrungen mit den Franktireur unter den Gesichtspunkten Intensität und Exzeptionalität als traumatisch bezeichnet werden können. Erwähnt sei zudem, dass selbst im Falle hoher Intensität und Exzeptionalität die Traumaübertragung nur als Förderung einer Disposition, nicht durch exakte Kopie des Traumainhalts möglich wäre.29 Jenseits der direkten Vererbung im engen sozialen Umfeld, also auch im Rahmen der Organisationkultur, wäre „Trauma“ nur eine Metapher für ein Ereignis, welches eine funktionale Anpassung notwendig macht. Anpassungsverhalten aufgrund entstehender Asymmetrien und Fähigkeitszuwächsen beim Feind ist jedoch normales Verhalten von Armeen.30 Das zeigt, dass die Verwendung des Traumabegriffs streng genommen weder begrifflich noch analytisch angemessen ist.31

4. War der Franktireurkrieg traumatisch?

Gemessen an den Beschreibungen des Franktireurkrieges 1870/71, ist dieser weder bei Horne und Kramer noch bei Isabel Hull als besonders gewalttätig einzuschätzen. Horne und Kramer beziffern die Franktireurstärke auf 300 Einheiten und insgesamt 57.600 Mann. Um diesen aus deutscher Sicht irregulären Kräften beizukommen, ergriffen die Deutschen Maßnahmen wie das Platzieren von Geiseln auf Versorgungszügen, die von den Franktireurs häufig attackiert wurden, das Fordern von Kontributionszahlungen aus Gemeinden, in denen Franktireuraktivität festgestellt wurde, das Abbrennen von Häusern, aus denen Heckenschützen feuerten, und die Erschießung von gefangenen Franktireurs.32 Eine gleiche Darstellung nimmt auch Hull vor, wobei sie schließt, dass die Deutschen Soldaten sich im Großen und Ganzen diszipliniert verhielten und die Ereignisse 1870/71 nicht übertrieben werden sollten.33 Nicht übertrieben werden soll, nach Hull, die Intensität der Auseinandersetzungen mit den Freischärlern. Dennoch attestiert sie eben jener Auseinandersetzung traumatische Wirkung in Bezug auf die weitere Entwicklung des deutschen Umgangs mit aufsässigen Zivilisten bis 1914.34 Wie in der Begriffserläuterung dargelegt wurde, ist dieser Ansatz fragwürdig, da für ein Trauma die Bedingungen Exzeptionalität und Intensität erfüllt werden müssen. Für ein kollektives Trauma muss das traumatische Erlebnis zudem umfassend erlebt worden sein. Wie häufig kam es für die Soldaten also zu Auseinandersetzungen mit Zivilisten, die sich in signifikanter Proportion zum ganzen Heer als besonders traumatisch bezeichnen lassen?

Mit dieser Frage begibt man sich auf ein verwaistes Gelände der Franktireur-Debatte: Quantitative Studien. Zwar kursieren Zahlen zur Mannstärke der französischen Guerillas, doch belastbare Daten, die Auskunft über den traumatischen Gehalt des Franktireurkrieges geben könnten, sind Mangelware. Ganz blank steht die Debatte aber dann doch nicht da. Sanford Kanter und Bastian Scianna bieten quantitative Einordnungen zur Frage. Kanters Studie von 1986, basierend auf seiner Dissertation, hat gar den Anspruch, mit zwei Mythen aufzuräumen: erstens, dass die Franzosen einen großen patriotischen Kampf führten und dabei einen moralischen Sieg feierten und zweitens, dass 1870 ein schreckliches Jahr mit hoher kriegsbedingter Übersterblichkeit und Zerstörung des Landes war.35 Das erste Argument gegen den Mythos des heroischen französischen Widerstandes liegt in der Struktur der Franktireur begründet. Bereits 1867 stand die Idee im Raum, die Schwächen der französischen Armee mit Freiwilligen auszugleichen.36 Im August 1870 griff der Kriegsminister Gambetta die Idee der Freiwilligentruppen auf und ließ Franktireureinheiten aufstellen, wenngleich der Krieg zu diesem Zeitpunkt noch ein klassischer Kabinettskrieg war.37 Wichtig ist, zu unterscheiden zwischen denjenigen, welche die Reihen der regulären Truppen auffüllten, und jenen, die einen Partisanenkampf führen würden.38 Die Debatte um die Gräuel des Deutsch-Französischen Krieges und das postulierte Trauma der Zivilistenbekämpfung bezieht sich auf Letztere. Die Partisanen hatten einen recht klaren Auftrag, welchen Gambetta Anfang September nach der Kapitulation Napoleons III. ausrief:

Wir müssen alles töten, wir müssen morden, würgen, aus den Fenstern und Kellerlöchern schießen. Wenn wir keine Gewehre haben, nehmen wir Mistgabeln, Säbel und Piken; einerlei wie, es handelt sich nur darum zu töten […] Auch die Weiber müssen Krieg führen, ihre Scheren müssen zu Mordwerkzeugen dienen […] Das Land verlangt nicht von Euch, dass Ihr Euch in großen Massen zusammenschart, noch dass Ihr den Feind offen bekämpft. Es verlangt, dass jeden Morgen drei oder vier beherzte Männer unter Euch ihre Dörfer verlassen, sich eine gute Stellung aussuchen, von wo aus sie, ohne ein Risiko einzugehen, das Feuer auf die Preußen eröffnen können.39

Die Freischärler taten sodann ihr Bestes, diesen Auftrag zu erfüllen. Oft attackierte Ziele, um das deutsche Militär zum Stocken zu bringen, waren Eisenbahnschienen, Nachschubdepots, Brücken und Konvois. Auch mit Hinterhalten und Scharfschützenangriffen hielten die Partisanen die deutsche Armee auf Trab. Die 100.000 zusätzlichen Soldaten, die zur Bewachung der Versorgungslinien nach Frankreich verlegt wurden, kamen als Bewacher bevorzugter Angriffsziele auch bald in Kontakt mit den Franktireurs.40 Im Herbst 1870 nahmen die Franktireuraktivitäten stetig zu.41 Unter den Deutschen sorgte weiterhin das Vorgehen der Franktireurs für Wut, nach einem Angriff wegzurennen, alle Waffen fortzuwerfen und sich als gewöhnlicher Bauer auszugeben. Das Tragen der landestypisch französischen Bauerntracht brachte den Franktireurs den Spitznamen „Blusenmänner“ ein.42 Der Konfusion, die aus dieser Taktik entstand, begegneten die Deutschen in Teilen mit der Erschießung Unschuldiger.43 Grundsätzlich gingen die Deutschen davon aus, dass die Franktireurs Zivilisten waren, die sich unrechtmäßig als Kombattanten betätigten, ohne die Anforderungen an diesen Status zu erfüllen. Entsprechend dieser Auslegung wurde die Gangart gegen die Franktireurs auch von offizieller Stelle aus härter.44 So befahl beispielsweise der bayerische General von der Tann, der den französischen Widerstand ebenso wie Moltke als Terrorismus empfand, dass „[j]edes Individuum, welches im Innern der Wälder oder in dem Dickicht angetroffen wird, […] als Franctireur betrachtet werden“ müsse.45

Das Narrativ von der harten Partisanenbekämpfung klingt überzeugend. Erschwerend kam für die Moral der deutschen Soldaten eine schon ohne die Franktireurs schwierige Versorgungssituation hinzu.46 Zudem litten die Soldaten häufig unter schlechtem Wetter, der zunehmenden Winterkälte Ende 1870 und Krankheiten, die in der Truppe grassierten.47 Zur Belastung des ständigen Verlusts von Kameraden kam die Ernüchterung, dass der Kampf nach der Kapitulation des französischen Kaisers kein Ende nahm und die neuen Feinde wie eine Ansammlung von mordlustigen Banditen schienen.48 Hier stellt sich nun die Frage, inwieweit die Franktireurs tatsächlich prägend für den deutschen Soldaten waren. Überwog der Schrecken der Freischärler die Schrecken des Krieges? Wie prävalent waren Franktireurattacken für die Mehrzahl der Soldaten? Kurz, was lässt sich neben der narrativen Darstellung tatsächlich über das Traumapotential des Franktireurkrieges sagen?

Damit kommen wir zurück zu den quantitativen Arbeiten von Kanter und Scianna. Die Franktireureinheiten, die als Guerillas gegen die Deutschen vorgingen, waren mangelhaft ausgerüstet und gingen wie die ganze französische Armee schlecht vorbereitet in den Krieg.49 Dem einfachen Bauern, der von der levée en masse ergriffen gewesen sein sollte, fehlten die Waffen sowieso. Zudem waren sie nicht weiter interessiert an den politischen Motiven hinter dem Krieg. Kanter stützt diese Argumentation auf eine Statistik, welche 62% der Kommunen in den vom Krieg betroffenen Departments umfasst, nach der nur 15% dieser insgesamt 1.826 Kommunen Unregelmäßigkeiten aufgrund des Krieges angaben.50 Es wäre mit deutlich mehr Ausfällen zu rechnen, wenn die Kommunen ihre Bauern in signifikanter Anzahl an den Widerstand oder die Rache- und Polizeiaktionen der Deutschen verloren hätten. Im Februar 1871, ein halbes Jahr nach Beginn des Volkskriegs, gab das französische Verteidigungsministerium an, dass die Belastung der Lazarette durch verwundete französische Soldaten sehr stabil sei.51

Klaus-Jürgen Bremm schreibt, dass die Teilnahme am Kampf für die Soldaten ein sehr seltenes Ereignis war, ohne dies weiter mit Zahlen zu belegen.52 Für die französischen Zivilisten war der Zustand der Kriegsferne jedoch wohl Realität. Die Statistik der über 1.800 Kommunen bringt ebenfalls zutage, dass 93% der Kommunen keine Kampfhandlungen in ihrer Umgebung zu verzeichnen hatten, nur 19% führten physische Schäden an Gebäuden oder Infrastruktur an, wobei diese Statistik wohl auch kleinere, vernachlässigbare Schäden führt.53 Auch der Schulbetrieb ging wie gewohnt vonstatten.54 Die Zahlen scheinen zu belegen, dass das zivile Leben der Franzosen vergleichsweise unbehelligt weiterlief. Es stellt sich die Frage, wie stark der partisanische Widerstand der Franzosen tatsächlich gewesen sein kann. Horne und Kramer ordnen die Stärke der Franktireureinheiten bei etwa 57.000 Mann ein. Die Spanne der Schätzungen umfasst jedoch eine Truppenstärke zwischen 17.000 und 141.000 Franktireurs.55 Die Anekdoten um die grausamen Taten deutscher Soldaten, wie sie oben beschrieben wurden, relativiert das Zahlenwerk ebenfalls. Wie Scianna ausführt, wurde durchaus auch Franktireurs der Kriegsgefangenenstatus gewährt und diese, wie alle französischen Kriegsgefangenen, vergleichsweise gut behandelt, sodass die Mortalität in den Kriegsgefangenenlagern trotz eines harschen Winters im niedrigen einstelligen Bereich lag.56 Wenig traumatisch muten auch die Gefallenenzahlen im Kampf mit den Freischärlern an. Kanter beziffert die getöteten Franktireurs auf gerade einmal 53 Tote.57 Selbst wenn die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher läge, müsste die Zahl im Vergleich zu den jeweils etwa 50.000 gefallenen Soldaten auf deutscher und französischer Seite sowie beidseitig etwa 45.000 Toten durch Krankheit, plus den etwa 160.000 deutschen und französischen Verwundeten und 15.000 Vermissten allein auf französischer Seite als eher marginal eingestuft werden.58 Es wird geschätzt, dass rund 1.000 deutsche Soldaten den Franktireurs zum Opfer fielen.59 Dies ist, gemessen an den 16.000 in der Phase des Volkskriegs gefallenen Deutschen – in dieser Phase war die Franktireuraktivität am größten – durchaus keine kleine Zahl. Jedoch verteilen sich diese Verluste auf ein knappes Dreivierteljahr, in dem die Gefallenen in regulären Gefechten eben immer noch im Schnitt das Sechzehnfache betragen haben müssen, eine regelmäßige Verteilung der Opfer vorausgesetzt.60

Ein Blick in die Feldpostbriefe scheint die Hypothese der vergleichsweise geringen Belastung durch die Franktireurs zu belegen. Ullrich Keller führt gegen die psychopathologisierende Argumentation Hornes und Kramers ins Feld, dass diese ihre Argumentation auf keine medizinischen Untersuchungen und Berichte stützen.61 Selbiges trifft auch auf Hull zu. Die Franktireurs werden nach Kellers Kenntnis der Quellenlage an Feldpostbriefen, Memoiren und Zeitungsberichten nicht in wahnhafter Art erwähnt.62

Die Einschätzung Kellers deckt sich mit der Untersuchung zweier Feldpost-Editionen, die in der hier verwendeten Literatur noch nicht gezielt auf die Relevanz der Franktireurs für die Soldaten untersucht wurden. Es handelt sich um die Feldpostbriefe des deutschen Artillerieoffiziers Friedrich Clauson von Kaas und der Feldpostsammlung einfacher Soldaten von Erika Stubenhöfer. Entgegen der üblichen Praxis, solche Quellen, zumindest in den publizierten Studien, nur anekdotisch zu zitieren, wäre es für das eigene Argument hilfreich, eine quantitative Aufschlüsselung wenigstens als Anhang oder in einer gesonderten Publikation vorzunehmen, um weitreichende Einschätzungen, wie die eines (nicht) vorhandenen Traumas für den Leser nachvollziehbar zu machen.

Stubenhöfers Feldpostedition umfasst 28 Briefe, die zwischen dem 08. September 1870 und Ende Mai 1871 abgesetzt wurden.63 Die Briefe stammen von 23 oder 24 Autoren. Ein Name, Heinrich Baumann, fällt sowohl als individueller Autor als auch in einem Brief mit insgesamt sechs Absendern. Die Identität zwischen beiden Absendern ist in der Edition nicht nachzuvollziehen. Die Empfängerin der Briefe ist die Ratinger Lehrerin Christine Engels, die aufgrund „ihrer quasi zölibatären Stellung als Lehrerin [einer katholischen Volksschule] in die Rolle einer neutralen ‚Beichtmutter‘“ hineinwuchs.64 Die Briefschreiber waren, wie Stubenhöfer aus deren Rechtschreibung schließt, „einfache Leute“,65 was sich auch mit den teilweise angegebenen niedrigen Dienstgraden deckt (Füsilier, Grenadier, zweimal Musketier). In exakt zwei dieser Briefe werden Franktireurs erwähnt. Einmal explizit, als Theodor Fleuth von einem Kampf gegen „24000 Franktörör“ am 01. Januar 1871 berichtete;66 und ein weiteres Mal am 04. Januar, als Ludwig Eicker im Postscriptum erwähnt, dass fünf Soldaten von französischen Zivilisten erschossen worden sein sollen.67 Da sich die harte deutsche Gangart gegen Zivilisten durch das Trauma von Guerillaattacken ausgeprägt haben soll, kommt streng genommen nur Ludwig Eickers Brief bzw. ein Satz im Postscriptum als Beleg für den Franktireurterror infrage.

Ähnlich sieht es in der Edition der Briefe Friedrich Clauson von Kaas´ aus. Dieser diente im Krieg im Dienstgrad des Sekond-Lieutenant in der Garde-Artillerie als Zweiter Adjutant im Brigadestab. Dadurch war Clauson von Kaas, im Gegensatz zu den Ratingern, nicht an vorderster Front gebunden.68 Die Edition umfasst 166 Briefe, welche zwischen seiner Abreise nach Frankreich am 31. Juli 1870 und dem Zeitpunkt des letzten Briefes der Edition am 26. Juli 1871 verschickt wurden. Fünf weitere Briefe vor seiner Verlegung werden nicht berücksichtigt, da Franktireurkontakt im Vorkriegs-Deutschland offensichtlich kein Faktor ist. Die Briefe nach Kriegsende werden deswegen berücksichtigt, da auch in ihnen retrospektiv über die Franktireurs berichtet werden könnte. In gerade einmal vier der 166 Briefe lässt sich ein unmittelbarer Bezug zu partisanischen Franktireurs herstellen. Am 15. September 1870 schreibt Clauson von Kaas: „Auch sind die Einwohner nicht so schlimm, es sind höchstens einige vereinzelte Fälle mit Francs-tireurs vorgekommen, die Einzelne angefallen haben.“69 Vier Monate später, am 24. Januar 1971, wird berichtet, dass „Francstireurs die Eisenbahnbrücke über die Mosel gesprengt“ haben.70 In einem Brief von Dezember 1870 berichtet Clauson von Kaas vom Frühstück und im Anschluss über einen Kampf von Potsdamer Ulanenregimentern mit „Einwohnern und Francstireur“.71 Im vierten Fall beschreibt der Sekond-Lieutenant Pariser Vororte und versieht den Bericht mit der Bemerkung: „Aber alles alles [sic!] vollständig verlassen, also heimtückische Bewohner sind hier nicht zu fürchten.“72 Es gibt weitere abfällige Bemerkungen über die Franzosen, la guérre á outrance und sehr viele Berichte über Kampfgeschehen an sich, doch die seltene Erwähnung von irregulären Kämpfern und Franktireurs in kurzen oder Nebensätzen lässt nicht darauf schließen, dass Clausson von Kaas einen seelischen Schaden durch die Partisanen erlitten hat.

Selbstredend ist die Stichprobe von zwei Editionen alles andere als repräsentativ. Zusammen mit Kellers Einschätzung der Feldpostquellen, zusammen mit Sciannas und Kanters quantitativer Evaluation des Deutsch-Französischen Krieges und zusammen mit den tendenziell entlastenden Einschätzungen einschlägiger Historiker Michael Howard, Mark Stoneman und sogar Hull selbst,73 lässt sich schließen, dass nach aktuellem Stand der Franktireurkrieg 1870/71 unter Berücksichtigung der Parameter Intensität und Exzeptionalität nicht als traumatisch bezeichnet werden kann.

5. Fazit

Grundsätzlich kann der Franktireurkrieg trotz seiner geringen Intensität eine traumatische Wirkung entfaltet haben. Dass dem so ist, lässt sich jedoch nur theoretisch herleiten, da keine biologische Untersuchung der Kriegsteilnehmer mehr möglich ist und die Untersuchung der Feldpostbriefe keine besondere Evidenz für eine besondere Traumatisierung durch die Franktireurs belegt bzw. medizinische Akten nicht auf durch Franktireurs traumatisierte Soldaten untersucht wurden.74 Herfried Münkler räumt dem Prozess der Asymmetrisierung in seinem Buch Kriegssplitter einen wichtigen Platz ein. Wenngleich sein Fokus auf der Entwicklung des Krieges seit dem 20. Jahrhundert liegt, leitet er mit Verweis auf die griechische Phalanx eine historische Kontinuität ab, in der eine auftretende Kriegsmethode, welche das Kampfgeschehen asymmetrisiert, in hohem Maße Aversion bei der Partei hervorruft, die nach der Konvention Krieg führt.75 Dieser Aversion liegt der evolvierte Funktionsmechanismus des Angstzentrums im Gehirn, der Amygdala, zugrunde, die auf Unsicherheiten aller Art sensibel reagiert und auch bei mentalen Projektionen reagiert, als wäre ein realer Stressor zugegen.76 Ein großer und weitreichender Schock ist grundsätzlich auch bei einem in relativen Maßstäben sehr geringen Schaden möglich, wie Terroristen in aller Regelmäßigkeit zeigen.77 Doch das ist alles hypothetisch. Es wäre auch erwartbar, dass es Zeugnisse wie Tagebücher oder Feldbriefe geben müsste, die auch eine gen Trauma tendierende Überreaktion belegen können. Die Autoren der neueren Studien zum Thema und auch Kanters und Sciannas quantitative Untersuchungen legen jedoch nahe, dass es auf deutscher Seite weder in der tatsächlichen Bekämpfung noch in der mentalen Projektion des Franktireurkrieges eine traumatische Erfahrung gegeben hat, welche die Behauptung einer Barbarisierung des Deutschen Reiches gerechtfertigt hätte.

In der Einleitung seines Buches Die Schlafwandler formuliert Christopher Clark eine auch auf die Franktireurdebatte anwendbare Kritik an der Schuldfrage, ja grundsätzlicher noch, an der Frage nach dem „Warum?“ generell. Nach Clark erzeugt der „‚Warum-Ansatz‘“ eine analytische Verzerrung, da Kausalketten in komplexe historische Phänomene projiziert werden, die aufgrund der Komplexität des Sachverhalts so nicht notwendigerweise existent sein müssen. Mehr noch impliziert die Kausalkette, dass sich die Schuldfrage abschließenderweise klären ließe.78

Die These, die deutsche Gewalt in Belgien im August 1914 sei aufgrund einer Kollektivpsychose geschehen, die ihre traumatischen Wurzeln in der Auseinandersetzung mit den Franktireurs 44 Jahre zuvor gehabt haben soll, ist so eine Kausalkette. Ob und inwieweit sich diese These historisch halten lässt, ist heiß debattiert und die neueren Studien zum Thema lassen darauf schließen, dass die historische Evidenz die durchaus theoretisch validen Annahmen Hulls nicht stützen. Vielmehr insinuiert Keller sogar, dass das immer noch prävalente Narrativ der Franktireurpsychose ein Nachhall der Entente-Propaganda sei.79 So gesehen fungiert das Trauma des Franktireurkrieges 1870/71, welches einer extremistischen deutschen Militärkultur Vorschub geleistet haben soll, eher als Kontingenzformel für eine Kontinuität, die im besten Falle wohl als höchst streitbar zu betiteln ist.

In der Frage nach den Spezifitäten der deutschen Militärkultur zwischen 1870 und 1945 führen die Spuren zu den Franktireurs, die sich nach der Kapitulation Napoleons III. erhoben und einen Guerillakampf gegen die reguläre deutsche Armee kämpften. Auch im Zusammenhang mit der Sonderwegs-Debatte wurde das Thema der Franktireurkriege heiß diskutiert. Isabel Hull versuchte die organisationskulturellen Pfadabhängigkeiten einer extremistischen deutschen Militärkultur vom Franktireurkrieg 1870/71 her zu begründen. Dem Franktireurkrieg 1870/71 wies sie dabei eine traumatisierende und damit organisationskulturell tiefgehende Wirksamkeit zu. Durch die Diskussion des Traumabegriffs wurde zunächst dargelegt, dass Hull den Begriff hyperbolisch verwendet. Im Anschluss wurde versucht nachzuvollziehen, inwieweit eine Traumatisierung durch die Franktireurs historisch überhaupt plausibel ist. Statt auf anekdotischer Evidenz lag der Fokus auf den quantitativen Studien zum Thema. Da verlässliches Zahlenwerk ein Manko in der Franktireurforschung ist, bietet auch die vorliegende Arbeit bestenfalls einen Zwischenstand zur gestellten Frage. Nichtsdestotrotz bleibt zu konstatieren, dass eine Traumatisierung auf Basis der verfügbaren historischen Evidenz höchst fragwürdig erscheint. Da jede These, insbesondere eine mit weitreichenden Implikationen, möglichst dicht begründet sein sollte, wurde geschlossen, dass die Behauptung eines Traumas als Lückenfüller für ausbaufähige historische Evidenz zur Hypothese der Tragweite der These nicht angemessen sei. Damit ist nicht gesagt, dass Hull notwendigerweise falsch liegt. Die Argumente lauten erstens, es braucht mehr quantitative Untersuchungen zum Thema und zweitens, die formulierte Hypothese sollte der Dichte der Evidenz angemessen sein. Die These des Traumas, welches der Franktireurkrieg 1870/71 ausgelöst haben soll, ist demnach also eher mit Vorsicht zu vertreten.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Christina Kecht.


Zitierempfehlung: Nicolas Stojek, Ein Traum von einem Trauma? Diskussion über Isabel Hulls Verwendung des Traumabegriffs in Bezug auf den Franktireurkrieg 1870/71, in: Portal Militärgeschichte, 09. Oktober 2023, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.09.10.2023.

  • 1. Felix Renker, Der Franktireur. Dramatische Szene, Mühlhausen i. Th. 1914.
  • 2. Bastian Matteo Scianna, A Predisposition to Brutality? German Practices Against Civilians and Francs-tireurs During the Franco-Prussian War 1870–71 and Their Relevance for the German ‘Military Sonderweg’ Debate, in: Small Wars & Insurgencies 30 (2019), S. 968–993, hier S. 968–970.
  • 3. Gunther Spraul, Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen zum Verfall einer Wissenschaft und zum Umgang mit nationalen Mythen, Berlin 2016; Ulrich Keller, Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914, Paderborn 2017; Peter Hoeres, Rezension zu: Spraul, Gunter: Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen zum Verfall einer Wissenschaft und zum Umgang mit nationalen Mythen, in: H-Soz-Kult (2016), URL: www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-24346 (zuletzt aufgerufen am 05.07.2023).
  • 4. John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2018, S. I–XXII. Spraul reagierte wiederum mit harter Kritik, s. Gunther Spraul, Ein Standardwerk – oder vielleicht doch nicht? Eine Entgegnung auf die Kritik von John Horne und Alan Kramer im Vorwort ihrer Neuausgabe von 2018, in: Portal Militärgeschichte, 18. März 2019, URL: https://www.portal-militaergeschichte.de/Straul_Standardwerk (zuletzt aufgerufen am 05.07.2023).
  • 5. Scianna, Predisposition.
  • 6. Isabel Hull, „Für die Sonderwegsthese habe ich mich nie interessiert“. Ein Gespräch mit Isabel V. Hull, in: Mittelweg 36/4 (2021), S. 125–136.; Horne/Kramer, Kriegsgreuel, S. XX.
  • 7. Michael Epkenhans, Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71, Ditzingen 2020, S. 7.
  • 8. Ebd., S. 10, 79, 139.
  • 9. Ebd., S. 32f.
  • 10. Eberhard Kolb, Der Weg aus dem Krieg. Bismarcks Politik im Krieg und die Friedensanbahnung 1870/71, München 1989, S. 198–203.
  • 11. Klaus-Jürgen Bremm, 70/71. Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen, Darmstadt 2019, S. 168.
  • 12. Ebd., S. 165; Epkenhans, 1870/71, S. 79.
  • 13. Isabel Hull, Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, Ithaca/London 2005, S. 94.
  • 14. Vanessa Lux, Ererbtes Trauma, in: Vanessa Lux/Jörg Thomas Richter (Hrsg.), Kulturen der Epigenetik. Vererbt, codiert, übertragen, Berlin 2014, S. 89–106.
  • 15. Hull, Absolute Destruction, S. 96.
  • 16. Lux, Ererbtes Trauma, S. 90.
  • 17. Hull, Absolute Destruction, S. 103; Scianna, Predisposition, S. 969f.
  • 18. Hull, Absolute Destruction, S. 110–115.
  • 19. Ebd., S. 117.
  • 20. Ebd., S. 103f.
  • 21. Ebd., S. 104–109.
  • 22. Ebd., S. 122–126.
  • 23. Ebd., S. 1.
  • 24. Lux, Ererbtes Trauma.
  • 25. Horne/Kramer, German Atrocities, S. 92–94.
  • 26. Lux, Ererbtes Trauma, S. 91.
  • 27. Heiner Mühlmann, Die Natur der Kulturen. Entwurf einer kulturgenetischen Theorie, Paderborn 2011.
  • 28. Hull, Absolute Destruction, S. 96.
  • 29. Gretchen van Steenwyk u. a., Transgenerational Inheritance of Behavioral and Metabolic Effects of Paternal Exposure to Traumatic Stress in Early Postnatal Life. Evidence in the 4th Generation, in: Environmental Epigenetics 4/2 (2018), S. 1–8; Lux, Ererbtes Trauma, S. 91.
  • 30. Siehe Clausewitz‘ dritte Wechselwirkung: Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Hamburg 2020, S. 32f.; Edward Luttwak, Strategie. Die Logik von Krieg und Frieden, Lüneburg 2003.
  • 31. Die Wirkung des Traumas ist wesentlich die Dissoziation zwischen der deklarativen und der emotionalen Verarbeitung eines Stimulus. Salopp formuliert, die Emotion dreht frei und lässt sich nicht durch Kontextualisierung einfangen. Hull beschreibt aber, wie bereits während des Deutsch-Französischen Krieges die Erfahrungen des Franktireurkrieges in Handbüchern, Ausbildung und Diskursen rezipiert und damit deklarativ zugänglich gemacht wurden. Per definitionem widerspricht Hulls Narrativ dem wesentlichen Merkmal eines Traumas; vgl. Bessel van der Kolk, The Body Keeps the Score. Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma, New York 2014, S. 66–68.
  • 32. Horne/Kramer, German Atrocities, S. 142.
  • 33. Hull, Absolute Destruction, S. 117–119.
  • 34. Ebd., S. 117.
  • 35. Sanford Kanter, Exposing the Myth of the Franco-Prussian War, in: War & Society 4/1 (1986), S. 13–30, hier S. 13.
  • 36. Armel Dirou, Les Francs-tireurs pendant la guerre de 1870–1871, in: Stratégique 1 (2009), S. 279–317, hier S. 280.
  • 37. Epkenhans, 1870/71, S. 96.
  • 38. Harald Potempa, Die Perzeption des Kleinen Krieges im Spiegel der deutschen Militärpublizistik (1871 bis 1945) am Beispiel des Militär-Wochenblattes, Unveröffentlichtes Manuskript 2008, URL: https://zms.bundeswehr.de/resource/blob/5409058/024f9007ef17e946a9cf4c8d4a9cfaab/harald-potempa-deutschestreitkraefteundpartianenkriegfuehrung-data.pdf (zuletzt aufgerufen am 05.07.2023), S. 38.
  • 39. Die Worte Leon Gambettas, zitiert nach Epkenhans, 1870/71, S. 98.
  • 40. Geoffrey Wawro, The Franco-Prussian War. The German Conquest of France in 1870–1871, Cambridge 2003, S. 264, 288f.
  • 41. Mark Stoneman, The Bavarian Army and French Civilians in the War of 1870–71, Magisterarbeit an der Universität Augsburg 1994, URL: https://ia600603.us.archive.org/30/items/TheBavarianArmyAndFrenchCiviliansInTheWarOf187071/Stoneman1994.pdf (zuletzt aufgerufen am 05.07.2023), S. 83.
  • 42. Winfried Leipold, Der deutsch-französische Krieg von 1870/71. Die Konfrontation zweier Kulturen im Spiegelbild von Zeitzeugen und Zeitzeugnissen. Dissertation an der Universität Würzburg 2015, URL: https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/opus4-wuerzburg/frontdoor/deliver/index/docId/12543/file/leipold-winfried-deutschfranzoesischerkrieg1870.pdf (zuletzt aufgerufen am 05.07.2023), S. 106.
  • 43. Wawro, Franco-Prussian War, S. 289.
  • 44. Heidi Mehrkens, Statuswechsel. Kriegserfahrungen und nationale Wahrnehmung im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, Essen 2008, S. 136, 140.
  • 45. Mark Stoneman, Die deutschen Greueltaten im Kriege 1870/71 am Beispiel der Bayern, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hrsg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis in 20. Jahrhundert, Paderborn 2008, S. 223–239, hier S. 237f.
  • 46. Ebd., S. 232.
  • 47. Thomas Rohrkrämer, Daily Life at the Front and the Concept of Total War, in: Stig Förster/Jörg Nagler (Hrsg.), On the Road to Total War. The American Civil War and the German Wars of Unification, 1861–1871, Cambridge 1997, S. 497–518, hier S. 501.
  • 48. Ebd., S. 503; Mehrkens, Statuswechsel, S. 143.
  • 49. William Serman, French Mobilization in 1870, in: Stig Förster/Jörg Nagler (Hrsg.), On the Road to Total War. The American Civil War and the German Wars of Unification, 1861–1871, Cambridge 1997, S. 283–294.
  • 50. Kanter, Exposing the Myth, S. 15.
  • 51. Ebd., S. 21.
  • 52. Bremm, 70/71, S. 144.
  • 53. Kanter, Exposing the Myth, S. 21.
  • 54. Ebd., S. 22f.
  • 55. Stéphane Audoin-Rouzeau, 1870. La France dans la guerre, Paris 1989, S. 198.
  • 56. Scianna, Predisposition, S. 975; die Deutschen waren „ehrlich bemüht […], das Los der Gefangenen so erträglich wie nur möglich zu gestalten“ (Manfred Botzenhart, Französische Kriegsgefangene in Deutschland 1870/71, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 21/3 (1994), S. 13–28, hier S. 18.), indem ihnen ein Gefangenensold, Bewegungsmöglichkeiten und sogar eine Feldschlachterei für Fleischversorgung eingerichtet wurde. Missständen wie Verschmutzung und mangelhaften Heizmöglichkeiten zum Trotz, sprechen die Anstrengung der Gefangenenlagerleitung und die geringen Todeszahlen in Gefangenschaft also deutlich für eine angemessene Versorgung der französischen Kriegsgefangenen. Es gab sogar zivile Vereine, die sich für die Gefangenen einsetzten (Botzenhart, Französische Kriegsgefangene).
  • 57. Kanter, Exposing the Myth, S. 15.
  • 58. Scianna, Predisposition, S. 977.
  • 59. Mark Stoneman, The Bavarian Army and French Civilians in the War of 1870–1871. A Cultural Interpretation, in: War in History 8/3 (2001), S. 271–293, hier S. 272.
  • 60. Eine zeitlich aufgeschlüsselte Statistik der Franktireuropfer konnte der Autor nicht finden. Die Schätzung ist denkbar einfach: Von der Kapitulation Napoleons bis zum Friedensschluss am 10. Mai 1871 vergingen etwa 8 Monate; 16.000/8 = 2.000; 1000/8 = 125. Im Ergebnis wären nur 6% der monatlichen Gefallenen auf Franktireurs zurückzuführen. Es ist zumindest fraglich, ob das Traumapotential tatsächlich auf den Attacken der Franktireurs beruht, und nicht eher auf der Gewalt, die in den regulären Kämpfen ausgeübt wurde. Auch die Verwundung von Kameraden trägt zum Traumapotential der regulären Gefechte vermutlich deutlich stärker bei, als es bei Franktireurhinterhalten aufgrund der mangelhaften Waffenwirkung der Freischärler überhaupt möglich wäre.
  • 61. Keller, Schuldfragen, S. 262.
  • 62. Ebd., S. 263.
  • 63. Eine präzise Datumsangabe des letzten Briefes ist durch das nicht angegebene Absendedatum verhindert. Der vorletzte Brief ist jedoch auf den 23. Mai 1871 datiert; s. Erika Stubenhöfer, „Mit Gott für König und Vaterland!“ Soldatenbriefe aus dem Deutsch-Französischen Krieg, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 63 (2004), S. 79–113, hier S. 112f.
  • 64. Ebd., S. 82.
  • 65. Ebd., S. 88.
  • 66. Ebd., S. 98.
  • 67. Ebd., S. 100.
  • 68. Thorsten Loch, „C´est guerre”. Ein Potsdamer Sekond-Lieutenant im Krieg von 1870/71, in: Thorsten Loch/Markus Vette (Hrsg.), „Potsdam ist geschlagen“. Briefe aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, Freiburg i. Br. 2016, S. 9–45, hier S. 14.
  • 69. Friedrich Clauson von Kaas, „Potsdam ist geschlagen“, in: Thorsten Loch/Markus Vette (Hrsg.), Briefe aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, Freiburg i. Br. 2016, S. 49–234, hier S. 92.
  • 70. Ebd., S. 168.
  • 71. Ebd., S. 144.
  • 72. Ebd., S. 113.
  • 73. Hull teilt Howards Einschätzung zur Frage: s. Hull, Absolute Destruction, S. 119; Stoneman, Cultural Interpretation, S. 290, 293.
  • 74. Keller, Schuldfragen, S. 262.
  • 75. Herfried Münkler, Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin 2015, S. 143–147.
  • 76. Robert Sapolsky, Behave. The Biology of Humans at Our Best and Worst, London 2017, S. 35, 126.
  • 77. Münkler, Kriegssplitter, S. 238.
  • 78. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2015, S. 17f.
  • 79. Keller, Schuldfragen, S. 256, 264.
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