Alexander Will
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
30. Oktober 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.30.10.2023

Unter dem Titel „Emotionen im Krieg – Krieg der Emotionen“ befasste sich vom 20.–21.04.2023 ein von der Hamburger Forschungsgruppe „Gewalt-Zeiten“ organisierter Workshop mit der Frage, welche Bedeutung Emotionen für die Ausgestaltung kriegerischer Konflikte und der in ihnen verübten Gewaltpraktiken haben und wie die in den Quellen vorgenommenen Darstellungen von Emotionen in Kriegen historisch zu kontextualisieren sind. Ausgehend von einer interepochalen und interdisziplinären Perspektive wurde sowohl die Bedeutung von Emotionen für die Narration über kriegerische Konflikte als auch der bewusste Einsatz von Emotionen als strategisches Element der Kriegführung untersucht.

In ihrer Einführung hoben FRANZISKA QUAAS (Hamburg) und THERESIA RAUM (Hamburg) die Aktualität des Themas hervor, gingen auf Leerstellen in der bisherigen militärgeschichtlichen Forschung und die Problematik der Quellenlage ein und benannten die Schwerpunkte der Tagung.

Zu Beginn setzte sich MAX GRAFF (Heidelberg) anhand ausgewählter deutschsprachiger Gedichte der Moderne mit emotionalen und emotionalisierenden Funktionen von Kriegslyrik auseinander. Ausgehend von einem Verständnis von Kriegslyrik als Kriegsdiskurs arbeitete er die dispositiven, kognitiven, kommunikativen und sozialen Funktionen der Gedichte heraus.

CARSTEN TRAUTMANN (Frankfurt am Main) beschäftigte sich mit Krieg und Emotionen in den Adagia des Erasmus von Rotterdam und hob die rezeptions- und wirkungsgeschichtliche Bedeutung der Sprichwortsammlung hervor. Erasmus von Rotterdam übe Kritik am Krieg, indem er Emotionen in Kriegen in besonderem Maße verurteile und ein Ideal propagiere, nach welchem der Herrscher nicht aus Emotionalität zum Mittel des Krieges greifen soll.

KRISTIN KIRCHBACH (Hamburg) befasste sich mit Gemütsbewegungen in den Belagerungen Alexanders des Großen und der Diadochen und legte dabei einen Schwerpunkt auf die Zuschreibung von Angst, Mut und Zorn in den Quellennarrativen. Angst konnte die Vortragende vor allem bei den während der Belagerungen Eingeschlossenen festmachen.

DANIEL RICHTER (Göttingen) fragte nach Gefühlspolitik und Deutungskonflikten um Emotionen bei Belagerungen im Dreißigjährigen Krieg und stellte dabei insbesondere die differente Bewertung bestimmter Verhaltensweisen in den Mittelpunkt. Richter kam zu dem Schluss, dass Kriegsakteure wie Monroe die Schlacht als eine Art Bühne wahrgenommen hätten, auf der es die eigene Tapferkeit zu inszenieren galt.

FELIX MÜLLER (Göttingen) befasste sich mit neuassyrischen Königsinschriften und ihren Darstellungen von Kummer, Furcht und Panik in Kriegszeiten. Feindliche Truppen wurden als feige, die eigenen als heroisch stilisiert. Anhand der Zuschreibung von Emotionen werde so ein Dualismus aus sich durch Emotionskontrolle auszeichnender und mit Ordnung konnotierter assyrischer Herrschaft auf der einen Seite und den mit Chaos und irrationalem Handeln konnotierten Feinden auf der anderen Seite aufgemacht.

CHRISTINA BRÖKER (Paderborn) analysierte die emotionalen Reaktionen in den Quellen zum „Baron‘s War“ und ging dabei der Frage nach, inwiefern sich die Erzählung über Emotionen beim König und seinen Anhängern einerseits sowie den vermeintlichen Rebellen andererseits unterscheidet. Demnach werde Johann Ohneland in der Chronica Maiora des Matthew Paris als besonders emotional und von exzessiven Gefühlsregungen geprägt beschrieben, was dazu diene, ihn als Tyrannen zu markieren.

FLORIAN WIENINGER (Passau) setzte sich mit den römischen Bürgerkriegen als emotional determiniertes Gewaltphänomen und ihrer Eskalationsdynamik auseinander. Emotionen wie Wut, Hass, Trauer oder Rachedurst nähmen hierbei eine besondere Rolle ein, weil sie Kontrollverlust, Entgrenzung der Gewalt und zunehmende Entrationalisierung herbeigeführt hätten.
Mit Emotionen als Ressource der preußischen und russischen Kriegsführung in der Schlacht von Zorndorf am 25. August 1758 setzte sich OTTO ERMAKOV (Göttingen) auseinander und kam anhand von Egodokumenten zu dem Ergebnis, dass negative Emotionen vielfach bewusst eingesetzt worden seien, um die eigenen Kämpfer zu radikalisieren oder den Zusammenhalt der Truppen zu stärken.

GUNDULA GAHLEN (München) analysierte den emotionalen Umgang mit sexueller Nötigung und Vergewaltigung in der französischen und österreichischen Armee während der Revolutions- und Napoleonischen Kriege. In der komparativ angelegten Fallstudie kam sie zu dem Ergebnis, dass es auf beiden Seiten vor allem dann zu sexualisierter Gewalt gekommen sei, wenn entweder die große Schlachtordnung aufgegeben worden oder auf fremdem (insbesondere außereuropäischem) Territorium gekämpft worden sei.

ISABELLE KÜNZER (Gießen) befasste sich mit der Wahrnehmung und Wirkung von Angst bei kriegerischen Gewaltpraktiken in den Schriften Xenophons. Dabei hob Künzer hervor, dass die Angst vor einer Gewalttat bei Xenophon in höherem Maße als emotional belastend dargestellt werde als die tatsächliche Gewalt. Angst sei nicht negativ attribuiert worden, sondern als unvermeidliche, von außen den jeweiligen Menschen ergreifende, Reaktion beschrieben.

ANNE FOERSTER (Paderborn) fragte danach, inwiefern im Frühmittelalter Emotionen als Code für die recta intentio im gerechten Krieg wahrgenommen worden seien. In der karolingischen Historiographie und Dichtung werde demzufolge das Konzept des bellum iustum in der karolingischen Historiographie und Dichtung durch entsprechende emotionale Umschreibungen markiert.

Das Konzept das bellum iustum bildete auch im Beitrag von BASTIAN REIMER (Dresden) den Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum gerechten Zorn des Feldherrn in der späten römischen Republik. In den Quellen werde dabei das Motiv der gerechten Rache für erlittenes Unrecht zur Legitimierung der Putsche von Sulla und Marius gebraucht. Aufgrund der während der Putsche verübten Brutalität habe aber der Gebrauch des Motivs des gerechten Zorns immer mehr an Akzeptanz verloren. Mit der Ermordung Caesars sei es wieder positiv aufgegriffen worden.

CHRISTINA KECHT (Passau) referierte über die Darstellung des Ammianus Marcellinus über die Belagerung Amidas. Hierbei hob sie hervor, dass dem Perserkönig Shapur trotz seiner vermeintlich barbarischen Herkunft nicht irrationaler furor, sondern durchaus ira, also rationaler Zorn, zugeschrieben werde. Zum Ende des Berichts werde der Perserkönig als äußerlich sorglos, innerlich aber wütend beschrieben angesichts eines verlustreichen Sieges mit wenig Errungenschaften.

JAN-MARTIN ZOLLITSCH (Berlin) widmete sich ausgehend von emotionshistorischen Perspektiven dem Deutsch-Französischer Krieg 1870/71. Anhand ausgewählter Quellen wie soldatischen Selbstzeugnissen und Schriften des öffentlichen medialen Diskurses beschrieb Zollitsch emotionale Auseinandersetzungen in diesem vermeintlich „kleinen Krieg“.

THIBAULT CARBONNOT (Reims) stellte den emotionalen Prozess der sechzehnten Legion, wie er von Tacitus für die Belagerung Castra Veteras, die Kapitulation gegenüber den aufständischen Batavern und den Nachgang der Ereignisse beschrieben wird, in den Fokus seiner Analyse. Hierbei arbeitete er die besondere Bedeutung von pudor heraus, die von Tacitus gezielt als zentrales Motiv dazu eingesetzt worden sei, um die Dekadenz seiner Zeit anzuprangern.

MICHAEL VENTUR (Bonn) rückte am Beispiel des Rolandslieds die Bewältigung von Gewalttaten in den Mittelpunkt und erläuterte, wie durch den trauernden Karl den Großen als Typus des leidenden Königs die imitatio Christi evoziert werde. Letztlich gelänge es Karl erst, die Trauer zu überwinden, als er die durch Gott gewollte Rache annehme, wodurch er als Schirmherr aller Christen inszeniert werde.

ALEXANDER MAY (Hamburg) befasste sich mit hagiographischen Texten der Wikingerzeit und arbeitete ein Klima der Angst in den von Wikingerzügen betroffenen Klöstern heraus, betonte aber auch die spezielle emotionale Aufladung dieser Texte, die der Glaubenserziehung dienten.

ROMAN SHLIAKHTIN (Mainz) beschäftigte sich mit Niketas Choniates‘ Beschreibung der Schlacht von Myriokephalon (1176). Choniates beschreibe in seiner Historia Manuel Komnenos zunächst als stolzen und überheblichen Kaiser, dessen Hybris taktische Fehler und schließlich die Niederlage der Schlacht verursacht habe; daraufhin habe der Kaiser einen emotionalen Zusammenbruch erlitten, von dem er sich erst durch ein gezwungenes Lächeln kurzzeitig habe befreien können.

Die Tagung hat sehr eindrucksvoll gezeigt, wie ein transepochaler Zugang in besonderem Maße dazu geeignet ist, sich einer Thematik wie der Geschichte von Emotionen in Gewaltkontexten zu widmen. Nur so konnte die Frage nach der temporalen Dimension bestimmter Gewalterfahrungen, aber auch bestimmter damit zusammenhängender Emotionen aufgegriffen und entsprechend diskutiert werden. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema weiterer Diskussionen bedarf. Diese könnten sich um die Skalierung und Attribuierung der Emotionen in den jeweiligen zeitlichen Kontexten, das Verhältnis zwischen Emotionen und Vernunft oder die Grenzen des Sagbaren drehen.

Programmübersicht

Donnerstag, 20. April 2023

FRANZISKA QUAAS und THERESIA RAUM: Begrüßung und Einführung

Panel 1: Gewalt erzählen: Emotionen und Literatur
Chair: FRANZISKA QUAAS (Hamburg)
MAX GRAFF (Heidelberg): Emotionale und emotionalisierende Funktionen von Kriegslyrik
CARSTEN TRAUTMANN (Frankfurt am Main): Krieg und Emotionen in den Adagia des Erasmus von Rotterdam

Panel 2: Attribuierung von Emotionen im Krieg
Chair: TOBIAS MÖRTZ (Hamburg)
KRISTIN KIRCHBACH (Hamburg): Angst, Mut, Zorn. Gemütsbewegungen in den Belagerungen Alexanders des Großen und der Diadochen
DANIEL RICHTER (Göttingen): Feigheit oder Umsichtigkeit, Mut oder Überheblichkeit? Gefühlspolitik und Deutungskonflikte um Emotionen bei Belagerungen im Dreißigjährigen Krieg
FELIX MÜLLER (Göttingen): „Und so befielen ihn Panik und Schrecken“. Zu den neuassyrischen Königsinschriften und ihrer Darstellung von Kummer, Furcht und Panik in Kriegszeiten
CHRISTINA BRÖKER (Paderborn): Nur Gewinner und Verlierer in der Erzählung vom Krieg? Ähnliche Emotionen bei Tyrannen und Rebellen im englischen „Baron‘s War“ (1216–1217)

Panel 3: Gewalt handeln: Emotionen als Ressource
Chair: THERESIA RAUM (Hamburg)
FLORIAN WIENINGER (Passau): „Plenae caedibus viae, cruenta fora templaque“. Die römischen Bürgerkriege als emotional determiniertes Gewaltphänomen und ihre Eskalationsdynamik
OTTO ERMAKOV (Göttingen): „Totally to be divested of every feeling of humanity“. Emotionen als Ressource der preußischen und russischen Kriegführung in der Schlacht von Zorndorf am 25. August 1758
GUNDULA GAHLEN (München): Der emotionale Umgang mit sexualisierter Gewalt in der französischen und österreichischen Armee während der Revolutions- und Napoleonischen Kriege (1792–1815)
Abendvortrag
ISABELLE KÜNZER (Gießen): Angst als gewaltigster Zersetzer der menschlichen Seele – Xenophon über Wahrnehmung und Wirkung von Angst bei kriegerischen Gewaltpraktiken

Freitag, 21. April 2023

Panel 4: Emotionen zwischen Schlachtfeld und Schreibtisch
Chair: JUSTINE DIEMKE (Hamburg)
ANNE FOERSTER (Paderborn): Heiter in die Schlacht? Emotionen als Codes für die recta intentio im gerechten Krieg
BASTIAN REIMER (Dresden): Der gerechte Zorn des Feldherrn
CHRISTINA KECHT (Passau): Kriegerische Könige und fliehende Soldaten. Der Belagerungsbericht des Ammianus Marcellinus zwischen Kampfeseifer und Todesfurcht
JAN-MARTIN ZOLLITSCH (Berlin): Ein „kleiner Krieg“ ohne „große Emotionen“? Emotionshistorische Perspektiven auf den Franktireurkrieg 1870/71
THIBAULT CARBONNOT (Reims): Emotions and Violence Inhibition. The Reddition of the 16th Legion

Panel 5: Gewalt erfahren: Emotionen und Bewältigung
Chair: RIKE SZILL (Kiel)
MICHAEL VENTUR (Bonn): Daz bluot flôz im von den ougen – „Trauma“ durch Krieg im Rolandslied
ALEXANDER MAY (Hamburg): Freude und Leid in der Ostererzählung am Beispiel des Überfalls auf Paris 845/858
ROMAN SHLIAKHTIN (Mainz): Why Does the Emperor Smile? Emotional Breakdown and Emotional Recovery of Manuel Komnenos in Niketas Choniates’ Description of the Battle of Myriokephalon (1176)

Abschlussdiskussion

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Daniel R. Bonenkamp und Alexander Reineke.


Zitierempfehlung: Alexander Will, Emotionen im Krieg – Krieg der Emotionen (Hamburg, 20./21.04.2023), in: Portal Militärgeschichte, 30. Oktober 2023, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.30.10.2023.

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