Geschichte und Memoria der Kosaken auf dem Balkan im Zweiten Weltkrieg
Christian Koller
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
27. Mai 2013

Das Kosakentum bis in die frühe Sowjetzeit

Das Kosakentum als Gemeinschaften freier Reiterverbände, zu denen sich entflohene leibeigene ostslawische Bauern gesellten, bildete sich in den südrussischen Steppengebieten spätestens seit dem 15. Jahrhundert heraus.1 Hauptsiedlungsgebiete der kosakischen Siedlungen und Wehrbauern-Gemeinschaften wurden der Ural, das Don- und das Dnepr-Gebiet. Die feudale und religiöse Unterdrückung durch die katholischen Herrscher Polen-Litauens sowie die Gutsherren der russischen Gebiete veranlasste viele Bauern zur Flucht in dieses gefährliche, aber freie Gebiet. Traditionell waren die Kosaken hierarchisch unter Atamanen oder Hetmanen organisiert. Es handelte sich dabei um Vergemeinschaftungsformen des Typs langfristig existierender „Gewaltgemeinschaften“, die in der jüngeren Forschung konzeptionalisiert werden als „Gruppen und Netzwerke, für die physische Gewalt einen wesentlichen Teil ihrer Existenz ausmacht, sei es, dass sie ihren Lebensunterhalt mit dem Einsatz von Gewalt erwerben, sei es, dass ihr Zusammenhalt und ihre Identität auf gemeinsamer Gewaltausübung beruhen“, und deren Existenz als Indiz für nicht oder nur punktuell vorhandene Staatlichkeit gesehen wird.2

Um 1600 war das Kosakentum organisiert und in seiner Stellung gefestigt. Versuche der polnischen Könige, die Kosaken, die zu dieser Zeit einen eigenen Stand mit unabhängiger Rechtsprechung und Obrigkeit bildeten, in ihren Dienst zu nehmen, waren nur vorübergehend erfolgreich. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts gelang es dem polnisch-litauischen Staat aber, große Teile der kosakischen Oberschicht in den Adel, die Szlachta, zu integrieren, was zu inneren sozialen Auseinandersetzungen führte. Die einfachen Kosaken sahen sich mehr und mehr in ihren Rechten beschnitten und gelangten in eine immer tiefere Abhängigkeit von polnischen Großgrundbesitzern. Hinzu kam, dass der polnisch-litauische Staat Versuche unternahm, die orthodoxen Kosaken zum katholischen Glauben zu bekehren. Im Jahre 1648 setzte sich der Hetman der Saporoger Kosaken, Bogdan Chmel’nickij, an die Spitze eines großen Aufstandes gegen die polnisch-litauische Herrschaft. Seine Gefolgsmänner plünderten weite Teile des polnisch-litauischen Reiches, wobei es unter Beteiligung der lokalen christlichen Bevölkerung zu anti-jüdischen Pogromen kam, die Tausende das Leben kosteten. Um einer Niederlage gegen Polen-Litauen zu entgehen, leisteten die Kosaken unter Chmel’nickij 1654 dem russischen Zaren einen Treueid. Dieser Vorgang wurde in der russischen und sowjetischen Historiographie gerne als (Wieder-)Vereinigung der Ostslawen von Russland und der Ukraine gedeutet. Hingegen wird Chmel’nickij in der postsowjetischen Ukraine als Nationalheld verehrt.3

Nach 1654 wurden die Kosaken als leichte Reiterei in die zaristische Armee integriert. Kosakenverbände waren an der Kolonisierung Sibiriens ebenso maßgeblich beteiligt wie bei der Eroberung und Russifizierung des Kaukasus. Legendär war schließlich ihr Einsatz in den Kriegen gegen Napoleon. Im Westen wurden sie zunehmend zu einem Symbol des repressiven zaristischen Systems. So war vor dem Ersten Weltkrieg etwa in der Schweiz „Kosake“ ein Schimpfname für berittene Polizisten und zum Ordnungsdienst abkommandierte Kavallerieeinheiten.4 Kurz vor den Russischen Revolutionen gab es etwa 4,5 Millionen Kosaken. Im darauf folgenden Bürgerkrieg kämpfte die überwältigende Mehrheit von ihnen auf der Seite der antibolschewistischen „Weißen“.5 Es gab aber auch Kosaken auf Seiten der Bol’ševiki. Ihr wohl berühmtester Vertreter war Semen Budennyj, nachmals ein enger Vertrauter Josef Stalins und Marschall der Sowjetunion. Viele Kosaken wechselten im Bürgerkrieg auch mehrfach die Seite.

Gegen Ende des Bürgerkriegs flohen etwa 50’000 Kosaken in die Türkei, wobei sie sich auf ihrem Rückzug zahlreiche Pogrome zu Schulden kommen ließen. Von der Türkei aus gingen sie teilweise in weitere Länder ins Exil, zum Beispiel nach Bulgarien, Jugoslawien, in die Tschechoslowakei, aber auch nach Brasilien, Ägypten, Tunesien, Großbritannien oder in die Vereinigten Staaten. Ein Teil von ihnen kehrte indessen schon Anfang der 1920er-Jahre in die Sowjetunion zurück. Viele Exil-Kosaken traten in die französische Fremdenlegion ein, die daraufhin erstmals Kavallerieverbände aufstellte. Namentlich die gehobenen Schichten gingen zusammen mit den „Weißen“ nach Frankreich oder Deutschland. Ein großer Teil von ihnen hegte in der Folge offene Sympathien für den Aufstieg des Nationalsozialismus, mit dem sie das Feindbild Bolschewismus teilten. So beglückwünschte der Exil-Kosakenführer Ivan Poltavec’-Ostrjanicja 1933 Adolf Hitler zu seiner Kanzlerschaft.

In Sowjetrussland wurden die Kosaken nach dem Bürgerkrieg zunächst kollektiv als Anti-Bolschewisten verfolgt. Die Kosakenheere wurden aufgelöst und jegliche Selbstverwaltung in den Kosakengebieten wurde unterbunden. Mit dem Übergang zur „Neuen Ökonomischen Politik“ (NEP) kam es in den frühen 1920er-Jahren indessen zu einer gewissen Liberalisierung. Den Kosaken wurde das Tragen ihrer Trachten wieder erlaubt und 1925 sprach sich das Zentralkomitee der KPdSU ausdrücklich gegen die Liquidation der kosakischen Kultur aus. 1922 eröffnete die Sowjetregierung auch Repatriierungsbüros in Prag und Sofia, um den Exilanten die Heimkehr zu ermöglichen. Mit der Zwangskollektivierung Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre, in deren Verlauf es zu offenen Kosaken-Aufständen kam, wurde die Schraube aber erneut angezogen: Zahlreiche Kosaken wurden als „Kulaken“ nach Sibirien deportiert.

Mitte der 1930er-Jahre änderte sich die Situation erneut. Im Zuge der Inszenierung eines Sowjetpatriotismus wurden auch kosakische Traditionen gepflegt. Ab 1936 stellte die Rote Armee wieder Kosakenverbände auf, die auch die alte Kosakentracht trugen. Im selben Jahr traten Chöre der Kuban- und Donkosaken im Bol’šoj-Theater auf. Die sowjetische Regierung förderte die Pferdezucht am Don und ließ in hoher Auflage Schriften über die Heldentaten der Kosaken in den antinapoleonischen Kriegen und im russisch-japanischen Krieg von 1904/05 verbreiten.

 

Kosaken im Zweiten Weltkrieg und der Balkaneinsatz

Nach dem Angriff des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten auf die Sowjetunion im Sommer 1941 kämpften Kosakenverbände auf beiden Seiten der Ostfront.6 Auf sowjetischer Seite bildeten Kosakeneinheiten einen wesentlichen Bestandteil der mobilen Streitkräfte der Roten Armee im Südabschnitt der Ostfront. Nach Kriegsausbruch wurden als Ergänzung der bereits 100’000 Kosaken in der Roten Armee Freiwillige aus den traditionellen Kosakengebieten zur Aufstellung von vier Kosaken-Divisionen herangezogen, die zusammen das 17. Kosaken-Kavallerie-Korps bildeten. Dieser Kriegseinsatz trug dazu bei, dass – im Gegensatz zu „unzuverlässigen“ Ethnien wie den Krim-Tataren, Wolgadeutschen oder Tschetschenen – die Kosaken als Gruppe während der Kriegszeit keine systematischen Verfolgungen erlitten. Allerdings wurden sie zu Beginn des Krieges als Kanonenfutter zur Deckung des Rückzugs der sowjetischen Truppen eingesetzt. Die Kollaborateure mit Deutschland wurden als „Weißgardisten“ beziehungsweise „deutsche Agenten“ angeklagt, die Loyalität der Kosaken per se stand aber nicht in Frage.

Die Exil-Kosaken dagegen sahen mit dem Vormarsch der Wehrmacht eine Möglichkeit, alte Rechte und Privilegien wieder zu erhalten, und boten Hitler ihre Dienste an. Dieser schlug zunächst das Angebot aus, betrachtete er sie doch entsprechend der nationalsozialistischen Rassenideologie als slawische „Untermenschen“. Es gab deshalb Bemühungen, die kosakische Ethnizität nicht den Slawen, sondern den Germanen zuzurechnen. So erklärte Poltavec’-Ostrjanicja, die Kosaken seien in Wirklichkeit Nachfahren der Goten, die im 3. und 4. Jahrhundert auf dem Gebiet der nachmaligen Ukraine gesiedelt hatten. Die ersten Sicherungs- und Kavallerieformationen der Kosaken auf deutscher Seite entstanden bereits im Herbst 1941. In der 18. Armee der Wehrmacht (Heeresgruppe Nord) sollte jede Division, die mit Besatzungsaufgaben betraut war, eine Kosakenhundertschaft zur Partisanenbekämpfung erhalten. Diese Einheiten wurden zunächst vollständig aus Kriegsgefangenen und Überläufern der Roten Armee rekrutiert.

Im November 1942 erteilte Generalstabchef General Kurt Zeitzler gegen den anfänglichen Willen Heinrich Himmlers den Befehl zur Aufstellung eines großen Kosakenverbandes. Im Sommer 1943 entstand in Mława in Polen die 1. Kosaken-Kavallerie-Division, welche 10’000 Mann zählte. Den Stamm der Division bildeten die Kosaken des Auffanglagers Cherson in der Ukraine, Kosaken vom Don, Kuban’, Terek, aus Sibirien, Transbaikalien und Ussurien. Das Offizier- und Unteroffizierkorps wurde aus ehemaligen Kriegsgefangenen der Roten Armee und aus Emigranten gebildet. Oberbefehlshaber wurde der deutsche Generalmajor Helmuth von Pannwitz, der sich seit längerem für die Aufstellung eines großen Kosakenverbandes stark gemacht hatte.

Wegen Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit der Kosaken im Kampf gegen Landsleute wurde diese Einheit nicht an der Ostfront eingesetzt, sondern im Oktober 1943 auf den Balkan beordert, wo sie im Kampf gegen die Partisanen in Slowenien, Kroatien und Bosnien zum Einsatz gelangte. Ihre Hauptaufgabe war die Sicherung der Eisenbahnlinie Zagreb–Belgrad. Die von den Deutschen in die Kosakenregimenter gesetzten Hoffnungen sollten nicht trügen: In kleinen Einheiten kämpfend scheuten sie weder vor unwegsamem Gelände noch vor sich darin in Sicherheit wiegenden Partisanen zurück. In der großen Offensive vom Mai 1944 („Operation Rösselsprung“) wäre es Kosaken sogar um ein Haar gelungen, Tito und seinen britischen Verbindungsoffizier Randolph Churchill, den Sohn des britischen Kriegspremiers, in ihrem Höhlenversteck im nordwestlichen Bosnien gefangen zu nehmen. In deutschen Militärkreisen erhielten die Kosaken wegen ihrer häufigen Einsätze in Krisensituationen den anerkennenden Spitznamen „Nordkroatische Feuerwehrbrigade“.

Namentlich die 1. Kosaken-Kavallerie-Division wurde dabei durch eine Vielzahl von Plünderungen, Vergewaltigungen und Erschießungen berüchtigt, die sich nicht nur gegen Partisanen, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung richteten. So ermordeten Kosaken im Dezember 1944 in der Ortschaft Djurdjevac im Drautal 26 Zivilpersonen, vergewaltigten zahlreiche Frauen und Mädchen, plünderten die Ortschaft und nahmen auch das Vieh und die Lebensmittelvorräte mit. Eine gängige Praxis war es, die Telegraphenmasten und -drähte entlang der Bahnlinie für Massenerhängungen zu nutzen und die Opfer zur Abschreckung hängen zu lassen. Nachdem während der Ausbildung in Polen ein striktes Alkoholverbot geherrscht hatte, kam es nun bei der Plünderung von Städten und Dörfern auch immer wieder zu Alkoholexzessen.

Bereits im Oktober 1943 protestierten sogar die Behörden des selber äußerst gewalttätigen Ustaša-Staates in Berlin gegen das Verhalten der Kosaken, Hitler lehnte deren Abzug aber ab. Aus der Perspektive der kroatischen Faschisten stellte sich mit den Kosaken noch ein weiteres Problem. Als Anhänger des orthodoxen Christentums fühlten diese sich nämlich letztlich den Serben näher als dem eng mit der römisch-katholischen Kirche verbundenen Ustaša-Regime. Die Zerstörung serbischer Ortschaften und orthodoxer Kirchen durch die Ustašen erfüllten die Kosaken häufig mit Zorn. Insgeheim wurden sie so zu Verbündeten der serbisch-monarchistischen Četniks, die sowohl gegen Titos Partisanen als auch gegen das Ustaša-Regime und die deutschen Besatzer kämpften.

Zum Ende des Krieges gab es Bestrebungen, die Kosakeneinheiten in die Waffen-SS einzugliedern. Die Aussicht auf bessere Ausrüstung und Bewaffnung ließ von Pannwitz in eine verwaltungsmäßige Unterstellung einwilligen. Eine tatsächliche Eingliederung in die Waffen-SS wurde aber bis zum Kriegsende nicht vollzogen. Dies lag auch an der ablehnenden Haltung von Pannwitz’ und seines Offizierkorps, die eine weitgehende Eigenständigkeit der Kosakeneinheiten als Truppenteil der Wehrmacht wahren wollten. Ab Februar 1945 unterstand von Pannwitz schließlich das XV. Kosaken-Kavallerie-Korps, bestehend aus der 1. und 2. Kosaken-Kavallerie-Division, der Plastunbrigade sowie der im Aufbau begriffenen 3. Kosaken-Division, insgesamt etwa 25’000 Mann. Als Vertrauensbeweis wurde von Pannwitz trotz der sich abzeichnenden Niederlage auf einem „Allkosakenkongress“ im März 1945 im kroatischen Virovitica zum „Obersten Feld-Ataman aller Kosakenheere“ gewählt, eine Ehre, die seit 1835 nur dem Carevič zuteil geworden war.

 

Die „Tragödie an der Drau“

Bedingt durch den Rückzug der Wehrmacht sahen sich ab 1943 viele deutschfreundliche Kosaken gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Nach monatelangen Irrwegen wies ihnen die deutsche Reichsregierung neue Siedlungsgebiete in der Gegend von Tolmezzo in der oberitalienischen Provinz Friaul zu, wo ein neues „Kosakia“ entstehen sollte. Vor ihrer Ankunft wurde die italienische Zivilbevölkerung von SS-Einheiten vertrieben. Die Kosaken sollten den Deutschen namentlich bei der Bekämpfung der italienischen Partisanenbewegung behilflich sein.

Unter dem Druck der Partisanen sowie der vorrückenden britischen Truppen und um sich mit den Kosakeneinheiten des Kosaken-Kavallerie-Korps zu vereinigen, die von Jugoslawien nach Österreich auswichen, flüchteten die Friauler Kosaken gegen Kriegsende ihrerseits in riesigen Trecks mit Pferd und Wagen nach Oberkärnten und Osttirol. Das Hauptquartier wurde in Lienz aufgeschlagen, wo in den Wiesen und Wäldern rund um die Stadt schließlich etwa 30’000 Personen, darunter 3’000 Frauen und 1’500 Kinder, sowie 5’000 Pferde und einige Kamele lagerten. In dem nun von britischen Truppen besetzten Gebiet glaubten sich die Kosaken vor dem Zugriff der Roten Armee sowie der jugoslawischen und italienischen Partisanen sicher.

Die Regierung des Vereinigten Königreichs befürchtete aber, dass Stalin die beim Vormarsch durch die Rote Armee befreiten britischen Kriegsgefangenen als Faustpfand zurückbehalten könnte, solange die Kosakeneinheiten nicht repatriiert worden wären, und lieferte im Mai die Kosaken unter Berufung auf den Vertrag von Jalta an die Sowjetunion aus. In den Lagern um Lienz und Oberdrauburg spielten sich im Zuge der Auslieferung dramatische Szenen ab. Mütter sprangen mit ihren Kindern in selbstmörderischer Absicht in die Hochwasser führende und eiskalte Drau, Männer erschossen oder erhängten sich. Die Ereignisse gingen als „Tragödie an der Drau“ in die Geschichte ein.

Der Großteil der Kosaken wurde in Judenburg den sowjetischen Truppen übergeben.7 Die Offiziere wurden in der Regel nach kurzen Prozessen exekutiert. Im Sommer 1945 erfolgte der Abtransport sowohl der kosakischen als auch der deutschen Soldaten des Korps nach dem Ural und dem sibirischen Vorkuta, wo viele von ihnen umkamen. Generalleutnant von Pannwitz wurde zusammen mit anderen Kosakengenerälen in die Lubjanka nach Moskau verbracht. Das Militärkollegium des Obersten Gerichts der Sowjetunion sprach ihn und fünf weitere Kosakengenerale der Spionage-, Zersetzungs- und Terrortätigkeit gegen die Sowjetunion für schuldig und verurteilte die Angeklagten zum Tod durch den Strang. Das Urteil wurde am 16. Januar 1947 vollstreckt.

 

Memoria

Die Bewertung der Kollaboration von Kosaken mit Hitlerdeutschland und ihre unfreiwillige „Repatriierung“ zu Kriegsende geben bis heute Anlass zu Kontroversen, die in verschiedenen Ländern Europas unterschiedliche Dimensionen aufweisen. Die Betonung der Auslieferung der Lienzer Kosaken an die Sowjetunion (sowie kroatischer und slowenischer Faschisten in Bleiburg an die jugoslawischen Partisanen) in rechtsextremen Geschichtsdiskursen blendet mit ihrem Akzent auf der Opferrolle bewusst die Beteiligung an Hitlers Vernichtungskrieg aus. An verschiedenen Orten erinnern Denkmäler an das damalige Geschehen. In Lienz sind dies der Kosakenfriedhof und ein Gedenkstein für Generalmajor von Pannwitz und das XV. Kosakenkavallerie-Korps in Tristach, wo jährliche Gedenkfeiern von Überlebenden, Nachkommen und Sympathisanten stattfinden. In Timau im Friaul begann der dortige katholische Pfarrer nach dem raschen Ende von „Kosakia“ mit dem Bau einer Prunkkirche, den er aus Geldern finanzierte, die ihm die abziehenden Kosaken anvertraut hatten. An der Wand der Krypta hängt seit 1989 das Wappen des XV. Kosaken-Kavallerie-Korps. Im kommunikativen Gedächtnis des postjugoslawischen Raums sind dagegen vor allem die Gräueltaten der Kosaken präsent.

In Großbritannien war das Erinnern an die „Tragödie an der Drau“ insbesondere mit dem Namen des rechtskonservativen russisch-britischen Schriftstellers und Historikers Nikolai Tolstoy verbunden, der 1977 in seinem Buch „Victims of Yalta“ (in den Vereinigten Staaten unter dem Titel „The Secret Betrayal“ erschienen) das Schicksal von über fünf Millionen Sowjetbürgern, darunter die Kosaken, behandelte, die während des Zweiten Weltkrieges vorübergehend im Machtbereich der Deutschen gestanden hatten und ab 1945 gemäß den Abkommen der Siegermächte repatriiert wurden.8 Im Jahre 1986 publizierte Tolstoy unter dem Titel „The Minister and the Massacres“ ein weiteres Buch, das besonders die britische Rolle bei der Auslieferung kroatischer und slowenischer Faschisten sowie serbischer Četniks an die jugoslawischen Partisanen in Bleiburg und der Lienzer Kosaken an die Sowjetunion anprangerte.9 Insbesondere kritisierte Tolstoy den damaligen Mittelmeerminister und späteren konservativen Premier Harold Macmillan sowie den damaligen Brigadegeneral und späteren stellvertretenden Tory-Parteivorsitzenden Toby Low, 1st Baron Aldington. Eine Verleumdungsklage Aldingtons führte in der Folge zu einem erbitterten Rechtsstreit, der auch Gräben in der regierenden Konservativen Partei aufriss.10 Während die Partei offiziell hinter Aldington stand, unterstützten verschiedene einflussreiche Parteimitglieder Tolstoy, der auch von Aleksandr Solženicyn und anderen Schriftstellern Support erhielt. Ebenfalls beklagt wurde Nigel Watts, der in einem geschäftlichen Konflikt mit Aldington diesen unter Berufung auf Tolstoys Schriften als Kriegsverbrecher tituliert hatte. Im Jahre 1989 verurteilte ein britisches Gericht Tolstoy zur Rekordsumme von 1,5 Millionen Pfund Schadenersatz. 1995 qualifizierte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte diese Strafe, die zu Tolstoys Bankrott führte, als Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit.

Ins kulturelle Gedächtnis Großbritanniens und darüber hinaus eingegangen ist die „Tragödie an der Drau“ auch dank des James-Bond-Films „Golden Eye“ von 1995. Im ersten 007-Streifen nach dem Ende des Kalten Krieges gründet der tot geglaubte MI6-Agent Alec Trevelyan alias 006 die Terror-Organisation „Janus“, die mit Hilfe des sowjetischen Satelliten-Systems „Golden Eye“ die Londoner Finanzwelt ausplündern und dann auslöschen und die Welt in ein finanzielles Chaos stürzen will. Trevelyan, dessen Eltern Kosaken gewesen waren, will sich damit an den Engländern für die Auslieferung der Lienzer Kosaken an die Sowjetunion rächen. Selbst 007, wie immer loyal zu „Queen and Country“, bezeichnet das Ereignis als „not exactly our finest hour“.11

Nach dem Ende der Sowjetunion wurde die Rolle der Kosaken im Zweiten Weltkrieg auch Gegenstand geschichtspolitischer Kontroversen in Russland, die exemplarisch die Komplexität der zwischen Abgrenzung vom Kommunismus und Anknüpfung an einen russisch-national gewendeten Sowjetpatriotismus schwankenden Memorialkultur in der Russischen Föderation widerspiegeln. In der El’cin-Ära erfolgte aus einem antikommunistischen Reflex zunächst eine teilweise positivere Bewertung der gegen die Sowjetunion kämpfenden Kosaken. Interessanterweise kurz nachdem der zum großen Teil in Russland spielende Film „Golden Eye“ in die Kinos gekommen war, nämlich am 23. April 1996, rehabilitierte der Militärstaatsanwalt der Russischen Föderation auf Antrag der Enkelin von Pannwitz’ den 1947 hingerichteten Kommandanten des Kosaken-Korps mit der Begründung, es lägen keine Beweise vor, dass von Pannwitz oder die ihm unterstellten Einheiten Gräueltaten gegen die sowjetische Zivilbevölkerung und die gefangen genommenen Rotarmisten zugelassen hätten. Auf dem Territorium der Allerheiligen-Kathedrale im Moskauer Stadtteil „Sokol“ wurde 1998 ein Denkmal „Für die für Glauben und Vaterland gefallenen Führer der Weißgardistischen Bewegung und Kosaken-Atamane“ errichtet, auf dem auch das XV. Kosaken-Kavallerie-Korps sowie mehrere als Kriegsverbrecher hingerichtete Atamane erwähnt wurden.

Schon kurz nach dem Amtsantritt Vladimir Putins wendete sich das Blatt aber erneut. Am 28. Juni 2001 widerrief die Oberste Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation von Pannwitz’ Rehabilitierung und anerkannte das Todesurteil ausdrücklich als rechtmäßig und begründet. Im Zuge der russischen Empörung über die Denkmalpolitik in den baltischen Staaten – namentlich in Estland, wo im Februar 2007 ein Gesetz Denkmäler zur Verherrlichung der Sowjetunion verbot und im April gleichen Jahres der an den Sieg der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg erinnernde Bronze-Soldat von Talinn an einen weniger prominenten Standort verschoben wurde, während zugleich die estnischen Waffen-SS-Soldaten eine geschichtspolitische Aufwertung erfuhren – machten sich Stimmen bemerkbar, die einen Abriss des Kosaken-Denkmals in Moskau forderten. Am 9. Mai 2007 schließlich, dem russischen Gedenktag des Sieges über den Faschismus („den’ pobedy“), zerstörten Aktivisten der nationalkommunistischen Gruppierung „Krasnyj blickrig“ (Roter Blitzkrieg) das Monument.

 

Fazit

Die Geschichte der Kosaken auf dem Balkan im Zweiten Weltkrieg ist insgesamt die Geschichte einer Gewaltgemeinschaft, die nach Jahrhunderte langer Inkorporation in staatliche Strukturen im frühen 20. Jahrhundert im russischen Bürgerkrieg, im Exil und schließlich im Solde des nationalsozialistischen Deutschland noch einmal partiell in die Rolle ihrer ursprünglichen Autonomie versetzt worden war, und zwar in Situationen, in denen die moderne Staatlichkeit, teilweise trotz totalitärer Ansprüche, infolge krisenhafter Ereignisse erschüttert war. In dieser Konstellation konnte eine anachronistische Gemeinschaft vorübergehend nochmals ein über folkloristische Reminiszenzen weit hinaus reichendes Eigenleben entfalten, zahlte dafür indessen 1945 im Zuge der Wiederherstellung der staatlichen Autorität durch militärische Besatzungsbehörden der Siegermächte einen hohen Preis. Die konflikthafte und sich auf verschiedene Länder erstreckende Memorialisierung dieser Ereignisse verdeutlicht nicht nur die nach wie vor komplexe Interdependenz zwischen transnationalen, länder- und gruppenspezifischen Modi der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und deren Politisierung, sondern auch die Problematik des Gedenkens an Gruppen (und letztlich auch Individuen), die sich nicht in ein einfaches Opfer-Täter-Schema einfügen lassen.

 

 

  • 1. Vgl. für die Frühgeschichte des Kosakentums Kumke, Carsten, Führer und Geführte bei den Saporoger Kosaken. Struktur und Geschichte kosakischer Verbände im polnisch-litauischen Grenzland (1550–1648), Berlin 1993; Plokhy, Serhii, The Cossacks and Religion in Early Modern Ukraine, Oxford 2001; Witzenrath, Christoph, Cossacks and the Russian Empire, 1598–1725. Manipulation, Rebellion and Expansion into Siberia, London 2007. Für eine Gesamtübersicht klassisch Longworth, Philip, The Cossacks, London 1969, sowie nunmehr Kappeler, Andreas, Die Kosaken. Geschichte und Legenden, München 2013.
  • 2. Speitkamp, Winfried, Einführung. In: ders. (Hrsg.), Gewaltgemeinschaften. Von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert, Göttingen 2013, S. 7-13, hier 7. Zur Charakterisierung der Kosaken als „Gewaltgemeinschaft“: Starčenko, Daria, Kosaken zwischen Tatendrang und Rechtfertigungsdruck. Ordnungsvorstellungen einer Gewaltgemeinschaft im Kontext von Konkurrenz und Gewaltkultur. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 60/4 (2011), S. 494-518.
  • 3. Vgl. Bürgers, Jana, Bohdan Chmel’nyc’kyj und der Kosakenmythos in der postsowjetischen Ukraine. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 50/1 (2002), S. 62-86.
  • 4. Vgl. Koller, Christian, Zürichs Kosakenzeit. Der Streiksommer 1906 und seine Folgen. In: Rote Revue 83/3 (2006), S. 39-43.
  • 5. Vgl. dazu Karmann, Rudolf, Der Freiheitskampf der Kosaken. Die weiße Armee in der russischen Revolution 1917-1920, Puchheim 1985.
  • 6. Vgl. für das Folgende Newland, Samuel J., Cossacks in the German Army, London 1991; Krause, Werner H., Kosaken und Wehrmacht, Graz 2003; Stadler, Harald/Steininger, Rolf/Berger, Karl C. (Hrsg.), Die Kosaken im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Innsbruck/Wien/Bozen 2008.
  • 7. Vgl. dazu Karner, Stefan, Zur Auslieferung der Kosaken an die Sowjets 1945 in Judenburg. In: Johann Andritsch (Hrsg.), Judenburg 1945 in Augenzeugenberichten, Judenburg 1994, S. 243-259; Stadler, Harald/Kofler, Martin/Berger, Karl C., Flucht in die Hoffnungslosigkeit. Die Kosaken in Osttirol, Innsbruck/Wien/Bozen 2005.
  • 8. Tolstoy, Nikolai, Victims of Yalta, London 1977.
  • 9. Tolstoy, Nikolai, The Minister and the Massacres, London 1986.
  • 10. Vgl. dazu Mitchel, Ian, The Cost of a Reputation. Aldington versus Tolstoy. The Causes, Course and Consequences of the Notorious Libel Case, Lagavulin 1997.
  • 11. Broccoli, Albert R., Golden Eye, UK 1995, 01:00:46.
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