Erik Fischer
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
28. Januar 2013

In den letzten Jahren des amerikanischen Engagements in Vietnam wurde immer stärker klar, wie sehr sich das amerikanische Militär in diesem Krieg über jedes Maß hinaus entgrenzt hatte. Alltägliche Gewalt gegen Fremde und auch eigene Kameraden war normal geworden; lethargische Soldaten agierten oftmals wider jede ethische oder moralische Maxime. Aus dem Krieg ging das amerikanische Militär zerrüttet hervor und steuerte damit in die wohl schwerste Krise seiner Geschichte: Insubordination, Drogenmissbrauch in und über Vietnam hinaus, in den USA, der BRD und anderen amerikanischen Stützpunkten, Rassenkonflikte und allgemein ein Mangel an Moral und Disziplin waren dabei nur eine Seite. Die schwierigen Nachwirkungen eines verlorenen Krieges, der Umbau der Streitkräftestruktur hin zu einer Freiwilligenarmee, die mangelnde Einsatzbereitschaft und überhaupt die Frage danach, wie man auf zukünftige Krisen und Kriege reagieren sollte, waren die andere.

Da der Entwicklung der amerikanischen Streitkräfte nach dem Vietnamkrieg bis heute nur im englischsprachigen Raum Aufmerksamkeit gewidmet wurde, wird für die geplante Arbeit Vietnam als Ausgangspunkt genommen, um zunächst einmal die offensichtliche Krise der amerikanischen Streitkräfte zu beschreiben. Die zentrale Fragestellung wird jedoch sein, wie sich Vietnam als Krieg und als Erfahrung auf das amerikanische Militär ausgewirkt und wie es sich unter diesem Eindruck weiter entwickelt hat. Diese beiden zentralen Punkte sollen mit den Begriffen Krise und Reform umrissen werden.

Fassbar werden damit mehrere Phänomene, die sich nach 1970 entwickelten: Der Umbau der Struktur und der Organisation der Streitkräfte, die Veränderungen im Training der Soldaten sowie die Fokussierung auf Ethik-Kurse und ihre Bedeutung für das Selbstverständnis einer Armee in einer Demokratie. Einen besonderen Schwerpunkt im Reformprozess des amerikanischen Militärs wird dabei die Entwicklung von Strategie und Doktrin nach 1970 einnehmen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach dem Kriegsbild, welches nach dem Ende des Vietnamkrieges prägend für das amerikanische Militär wurde; besonders der Gegensatz zwischen konventioneller Großkriegsführung und dem unkonventionellen Kleinkrieg wird dabei zu problematisieren sein, wobei vor allem die Haltung des amerikanischen Militärs zur Guerilla und Counterinsurgency im Mittelpunkt des Interesses steht.

Die Arbeit wird sich in sechs Abschnitte gliedern. Nachdem in einem kurzen Abriss die Ge-schichte der amerikanischen Streitkräfte und deren Entgrenzung in Vietnam dargestellt wurden, schließt sich eine Reflexion der wesentlichen Krisenmomente an, wie sie innerhalb und außerhalb des Militärs wahrgenommen und ausgedeutet wurden.

Als Grundlage bieten sich hier verschiedene Quellen an. In der vorzulegenden Untersuchung wird auf eine Auswahl von Militärzeitschriften zu-rückgegriffen: auf die Military Review, Parameters und die Armed Forces & Society. Zusätzlich werden zeitgenössische öffentliche Publikationen von Vertretern des Militärs, aber auch von Personen des öffentlichen Lebens, wie Journalisten und Akademikern, herangezogen. Eine dritte große Quellengruppe, die den Korpus vervollständigen soll, sind die offiziellen Berichte aus dem Militär und der Politik.

Ziel soll es sein, die zeitgenössische Diskussion innerhalb und außerhalb des Militärs in ihrem Gegenstand und auch in ihrer Vernetzungen deutlich zu machen. Um die Begriffe Krise und Reform soll also ein diskursives Netzwerk entstehen, welches die Diskussion der 1970er und 1980er Jahre um die Ausrichtung des amerikanischen Militärs wiedergibt. Dazu werden in den folgenden drei Abschnitten einmal die Reformbemühungen in Bezug auf Training, Strategie und Doktrin sowie Ethik dargestellt, weiterhin die Entwicklung des Kriegsbildes nach dem Vietnamkrieg sowie die Veränderungen, welche die amerikanischen Streitkräfte in den 1980er Jahren auf dem Weg zum Krieg am Golf durchliefen. Zusammengeführt werden soll dies in der Frage danach, ob die amerikanischen Streitkräfte als eine »lernende Institution« zu bezeichnen sind und es also vermochten, Erfahrungen und Lehren aus Vietnam in ihre Organisation und ihr institutionelles Gedächtnis zu überführen – was angesichts der anfänglichen Erfahrungen in Afghanistan und dem Irak zu hinterfragen sein wird.

Erstveröffentlichung im Newsletter des AKM Nr. 33

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